02.05.2024
Petition der Tanzschaffenden in Niedersachsen
Wir erleben eine Zeit, in der Tanz als verzichtbarer Luxus eingestuft wird. Seit Monaten sind die Kultureinrichtungen geschlossen und versuchen über online Formate die Zuschauer*innen zu erreichen. Doch Tanz ist eine Kunstform, die sich live ereignet.
Licht, Raum und Musik sind im Zusammenspiel für das Publikum von ebenso großer gleicher Wichtigkeit wie die physische Energie der Tänzer*innen. Es ist die Nähe und die Unmittelbarkeit, die den Tanz ausmacht. Und vor allem: Tanz lässt sich durch Video- oder Streaming Formate höchstens dokumentieren, niemals aber ersetzen.
 
Die Geschichte hat immer wieder bewiesen, dass wir den Tanz brauchen. Tanz schafft einen Raum des Ausdrucks und der Verständigung jenseits von Sprache. Einen Zwischenort, an dem die Selbstverständlichkeit in Frage gestellt und der Alltag unterbrochen werden kann. Einen Raum, an dem Bilder und Klänge für das manchmal Unaussprechliche gefunden werden.
 
Doch was passiert, wenn unser Alltag dauerhaft auf Pause gestellt bleibt und wir Erfahrungen machen, die noch niemand vor uns gemacht hat? Wenn Kulturerlebnisse keine Möglichkeit zum gemeinsamen Austausch des Erlebten in der persönlichen Lebenswelt mehr bieten können, weil Kunst als etwas Verzichtbares gilt.
 
Tanz ist eine der ältesten menschlichen Ausdrucksformen. Er repräsentiert Identität und Zeitgeist. Tanzen ist ein Gemeinschaftsereignis, jenseits von Sprache, Generationen- oder Kulturzugehörigkeit. Im Tanz verschwimmen all diese Grenzen. Deshalb wurden die Tanzschaffenden von der Corona Krise durch die Schutzmaßnahmen besonders hart getroffen. Viele Tanzschaffende der freien Szene haben in Folge der Pandemie ihre Lebensgrundlage verloren und sind in ihrer Existenz bedroht.
 
Der Kompass schwankt lautet das Motto der kommenden Spielzeit der Staatsoper Hannover und fordert Antworten auf die Frage: Wie wollen wir leben? Bereits vor der Pandemie beobachteten wir eine Welt, die auf der Suche war. Auf der Suche nach Wertekriterien, die zunehmend fließend schienen. Eine Zeit der Suche, eine Zeit der Orientierungslosigkeit. Aber auch eine Zeit der Möglichkeiten und des Umdenkens. Doch eben dieses kreative Umdenken ist momentan nicht möglich, da es keinerlei verlässliche Regelungen für die Wiederaufnahme des Kulturbetriebs gibt. Das Paradoxe ist, dass es aktuell viele Situationen gibt, in denen die Schutzmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden bzw. nicht eingehalten werden können. Im Innenraum eines ICE oder Flugzeugs ist es weder möglich den vorgeschriebenen Mindestabstand einzuhalten noch einen effektiven Luftaustausch zu gewährleisten. Die Entscheidung, Flugzeuge voll zu besetzen, sei wirtschaftlich begründet, der Betrieb lohne sich nur mit vollen Reihen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, denn das gilt auch für den Kulturbetrieb.
 
Anstatt die Frage nach „Systemrelevanz“ der Kultureinrichtungen zu stellen, sollten wir uns vor Augen rufen, dass sich Kultur dadurch auszeichnet, dass sie eben kein kleiner Teil eines funktionalen Systems ist - sie ist viel mehr als das. Wir sollten uns fragen, wie wir kulturelles Geschehen ermöglichen können.
 
Es ergeben sich folgende dringliche Fragen an die Verwaltungsberufsgenossenschaft, deren verlässliche und zeitnahe Klärung das Ziel dieser gemeinsamen Petition ist:
1.
Aufgrund der üblichen Produktionsbedingungen gleicht die Gemeinschaft einer Compagnie der einer in sich geschlossenen Lebens- bzw. Wohngemeinschaft. Eine Gleichstellung aufgrund dieser Parallelen ist angebracht.
 
2.
Es liegt in der Eigenverantwortlichkeit der Künstler*innen, wenn sie bereit sind, sich auf der Bühne zu begegnen.
 
3.
Fußballer*innen können unter Schutzauflagen das Training und den Spielbetrieb wiederaufnehmen. Auch hier kommt es zu engem Körperkontakt. Dies soll auch für Tänzer*innen möglich sein.
 
4.
Auch im wirtschaftlichen Produktionsbereich ist es zum Teil unmöglich Abstandregeln strikt zu befolgen, zum Beispiel beim Autobau, wenn zwei Arbeiter*innen gemeinsam Teile einbauen. Für den Bereich der darstellenden Künste fordern wir ähnliche Konzepte.
 
5.
Der Körper ist das Berufsinstrumente der Tänzer*innen. Sie sind es gewohnt auf Gesundheit und Hygiene zu achten. Für den Aufrechterhalt des Spielbetriebs ist es zwingend erforderlich, tägliche Trainings mit dem gesamten Ensemble durchzuführen. Das gewährleistet den Erhalt der körperlichen Kondition einer Compagnie. Die bestehenden Tanzensembles in Niedersachsen müssen um die tänzerische Qualität fürchten, wenn die Trainings mit dem Ensemble über einen so langen Zeitraum auf Grund der Hygienemaßnahmen nur reduziert stattfinden oder gar ausfallen müssen. Hinzu kommt, dass nicht jedes Tanzensemble Probenräume von ausreichender Größe zu Verfügung hat, um ein Training mit dem gesamten Ensemble zu gewährleisten.
 
Wir fordern, dass die Ensembles die bestehenden Hygienemaßnahmen (unter Einbindung der Sicherheitsleiter*innen und der Betriebsärzt*innen des jeweiligen Hauses) an die räumlichen Gegebenheiten vor Ort anpassen können.
 
6.
Für Tanzschulen wird eine Grundfläche von 10 m 2 pro Schüler*in und ein Abstand von 2 m an der Stange empfohlen. Im professionellen Bereich sind es jedoch 36 m 2 Grundfläche pro Tänzer*in und 6 m Abstand an der Stange. Wir fordern eine Gleichsetzung mit dem Trainingsbetrieb in einer Ballett-/Tanzschule.
 
7.
Restriktionen, die die Ausübung von Vereins- und Freizeitsport betreffen, werden regelmäßig bis hin zur Aufhebung der Abstandsregelung gelockert. Im Bereich Professioneller Tanz gelten hingegen immer noch die Regelungen von April. Wir fordern eine Aktualisierung und Anpassung der Schutzmaßnahmen für den professionellen Tanz.
 
Gemeinsam treten wir für diese Forderungen ein, um dem Tanz eine Zukunft zu ermöglichen (auch wenn sich offenbar derzeit niemand hiermit auseinandersetzen möchte). Auch unser Berufsstand benötigt Regularien und Rechtssicherheit, um wieder handlungsfähig zu werden.
 
Die Unterzeichner
 
Staatsballett Hannover
TANZtheater INTERNATIONAL
Tanztheater des Staatstheaters Braunschweig
Ballettcompagnie Oldenburg
Ballett Gesellschaft Hannover
Landerer & Company
Eisfabrik / Commedia Futura
 
Kontakt
Staatsballett Hannover
Christian Blossfeld
Stellvertretender Ballettdirektor
christian.blossfeld@staatstheater-hannover.de
+49 511 9999 1065
 
 
Staatsoper Hannover
Christiane Hein
Leitung Kommunikation und Marketing
christiane. hein@ staatstheater-hannover. de
+49 511 9999 1080
WEBSITE / SPIELPLAN / KARTEN / CONTACT
Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH
Opernplatz 1, 30159 Hannover
 
Staatsoper Hannover
Intendantin: Laura Berman
 
Geschäftsführung:
Sonja Anders, Laura Berman, Jürgen Braasch
 
Vorsitzende des Aufsichtsrats:
Dr. Sabine Johannsen
 
Eingetragen beim Amtsgericht Hannover HRB 4925
Umsatzsteueridentifikations-Nr.: DE 115650886